Pflegekammer: Ärztekammerpräsident ermutigt Pflegekräfte
In Berlin läuft zurzeit die Umfrage unter den examinierten Pflegekräften zur Errichtung einer Pflegekammer. Grund genug, einmal den Präsidenten der Berliner Ärztekammer Dr. Günther Jonitz zu befragen, was er von einer Verkammerung der Pflege hält.
HEILBERUFE: Herr Dr. Jonitz, Ärztekammern sind eine Selbstverständlichkeit, warum aber braucht auch die professionelle Pflege eine Kammer?
Jonitz: Die Pflegeberufe haben in den letzten Jahren die methodischen Grundlagen ihrer Arbeit stark erweitert. Pflegestandards sind inzwischen evidenzbasiert und die Regel, nicht mehr die Ausnahme. Durch akademische Zusatzqualifikationen hat sich eine neue Gruppe innerhalb der Pflegenden gebildet, die ihre Interessen mit größerem Selbstbewusstsein vertreten. Um eine harmonische Weiterentwicklung der Pflegeberufe zu fördern, beispielsweise durch einheitliche ethische und berufsrechtliche Maßstäbe, aber auch um die Spezialisierung der Pflegeberufe besser zu gestalten, kann eine Kammer durch entsprechende Berufs-, Fort- und Weiterbildungsordnung für bessere Standards sorgen. Der politische Grund ist der der legitimierten und einheitlicheren Interessenvertretung. Gesundheitspolitik ist leider meist Lobbypolitik. Eine gemeinsame Stimme der Pflegeberufe wird besser gehört als die unterschiedlicher Verbände.
Was kann eine Kammer leisten und was nicht?
Kammern kümmern sich primär um die Qualifikation und das Verhalten der in ihr versammelten Berufsgruppe (Berufsrecht, Fort-, Weiterbildung, Qualitätsmanagement, Patientensicherheit). Sie haben kaum Einfluss auf die Rahmenbedingungen der ausgeübten Tätigkeit. Es gibt auch keinerlei Recht, bei Gesetzgebungsverfahren zwingend eingebunden zu werden. Wir schließen ebenfalls keine Tarifverträge o. ä. ab.
Müssen Kammern Bürokratiemonster sein oder geht es auch anders?
Das hängt vom Selbstverständnis der Führung der Kammer, den übertragenen und den selbst geschaffenen Aufgaben ab. Die Ärztekammer Berlin zum Beispiel versteht sich als „Dienstleistungseinrichtung mit hoheitlichen Aufgaben“. Als Körperschaft öffentlichen Rechts müssen alle unsere Vorgänge rechtssicher sein. Ohne elementare Regeln und Dokumentation geht es nicht.
Nicht jeder – egal, ob Arzt oder Pflegekraft – ist ein Befürworter einer Kammer. Wie gehen Sie mit Kritikern in den eigenen Reihen um?
Ich rede gerne mit Kritikern und lege ihnen den inhaltlichen und politischen Erfolg unserer Ärztekammer dar. Die Kammer ist kein Selbstzweck, sondern leistet gute Arbeit. Die meisten lassen sich dadurch überzeugen.
Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften scheinen eine Pflegekammer zu fürchten, wie der Teufel das sprichwörtliche Weihwasser. Sind deren Ängste berechtigt?
Die Absichten der großen Verbände auf Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite sind spätestens mit dem geplanten Tarifeinheitsgesetz klar: Sie wollen Macht und Kontrolle ausüben. Da stört ein eigener aufrechter Gang. Profundes Fachwissen und praktische Expertise, gebündelt durch eine Kammer stört diejenigen, die vor allem am System Geld verdienen und es für eigene Karrieren brauchen.
Die meisten Pflegekräfte müssen aufs Geld schauen. Wenn es zu einem Pflichtbeitrag kommt, was erhalte ich dafür? Wo geht mein Geld hin?
Die grundlegenden Aufgaben der Kammer legt der Gesetzgeber fest, die konkrete Ausführung liegt bei handelnden, führenden Personen. Die Ärztekammern bieten durch das Regelwerk der Weiterbildung einen Rahmen, beraten und unterstützen. Gleiches gilt für Fragen des Berufsrechts. Die Mitglieder werden durch Zeitschriften und per Mail über die Arbeit der Kammer informiert und können sich – Dank demokratischer Strukturen – auch selbst beteiligen. Wir machen unsere Regeln selber. Die Verbindlichkeit kommt mit der gesetzlichen Grundlage. Der durchschnittliche ärztliche Kammerbeitrag liegt in Berlin bei circa 36 €/Monat. Für Pflegekräfte wird der Betrag sicher Einkommensabhängig deutlich darunter liegen.
Wenn die Pflegekräfte jetzt tatsächlich eine Kammer bekommen – gibt es etwas, was sie Ihrer Meinung nach besser machen können als die Ärzte?
Was ich wichtig finde ist, sich auf die Grundsätze des eigenen Berufes zu besinnen, diese inhaltlich zu fördern und dann erst nach finanziellen Rahmenbedingungen zu rufen erhöht die Akzeptanz bei Politik und Öffentlichkeit – auch bei den eigenen Mitgliedern. Und: Wählen Sie nur solche Pflegenden zu Präsidentinnen und Präsidenten, die Sie auch gerne selbst zum Chef/zur Chefin haben wollten.
Quelle: Heilberufe-Online